Michael Marek. Hamburger Menschen #126 - Kathrynsky's

Freitag, April 08, 2016

Michael Marek. Hamburger Menschen #126

Im Oktober des letzten Jahres war ich in einer der schönsten Städte der Welt auf einer Pressereise. Mit mir waren "nur" klassische Journalisten in Istanbul. So gab es den ein oder anderen Reibungspunkt und auch viel Austausch. Einer von ihnen, Michael Marek, kam (kommt) aus Hamburg und unser Gespräch riss über vier Tage nie ab. Von politischen Reisethemen bis hin zu absurdestem Unsinn war alles dabei. Zurück in Hamburg schickte er mir exemplarische Arbeiten von ihm – Hörbeiträge sind seine Spezialität. In den unglaublich interessanten Berichten fühlt man sich schnell, als würde man selbst mit dem Scheich, der Bäckerin oder wem auch immer am Tisch sitzen.

Es ist die Geschichte dahinter, die Michael interessiert, was ein Glück für mich, denn mir geht es mit Menschen ähnlich. Ich freu mich sehr, dass wir heut ein bißchen mehr von seiner Arbeit und auch Michael selbst erfahren, denn er ist Gast in der wöchentlichen Serie "Hamburger Menschen" und erzählt uns von sich.

Das Interview liest sich nicht schnell, es gibt viele schöne Infos und ist seine Zeit mehr als Wert.
Zu den Bildern gibt es auch immer eine Geschichte in Form eines Hörbeitrag, vielleicht habt ihr ja Lust euch auch die Audiogeschichten anzuhören ... Mit diesen Beiträgen hat er schon mehr als einen Radiopreis gewonnen, wobei immer wieder sein Umgang mit umweltbewussten und ethisch vorbildlichen Reisen erwähnt wird.

Seit wann bist du in Hamburg?

Seit 1960, als ich im Krankenhaus Heidberg in der grellen Neonbeleuchtung das Licht der Welt erkannte.


Was wäre dein Job, würdest du nicht das machen, was du jetzt machst?

Ich wäre Musiker geworden - Komponist, Sänger und Gitarrist, und das, obwohl ich mit zwei linken Händen gehandikapt bin ...

Was machst du, wenn du nicht arbeitest?

Tischtennis spielen, am Besten dreimal die Woche, wenn es geht, Wahnsinn! Mit Freunden haben wir Mitte 2015 ein Tischtennis Projekt für Flüchtlinge organisiert. Zwischenzeitlich ist aus dem Kurs ein gemeinsames Projekt zwischen dem FC St. Pauli, ATV und TuS Ottensen 93 hervorgegangen. Ein Mal wöchtenlich gibt es ein offenes Training. Unterstützt wird die Initiative auch vom Hamburger Sportbund sowie dem Deutschen Tischtennisverband.

Was soll ich davon erzählen? Soraya Dräger, eine Schülerin, hat uns anfangs begleitet und die Verrücktheiten zwischen Aufschlag und Massenmord in Syrien wunderbar beschrieben. Hier ihr Bericht:

„Parvana!“ Es folgt ein heftiger Wortwechsel auf Afghanisch und Arabisch. Er handelt von falschen Aufschlägen. Dann fliegt die weiße Zelluloidkugel zischend auf die andere Seite des Netzes. Mohammed donnert mit dem Schläger gegen den Tischtennisball. Wieder schreien sich die beiden Kinder gegenseitig an. Diesmal auf brüchigem Deutsch. „Sie kann die Spiel nicht!“, ruft der kleine Syrer genervt. Im Hintergrund murmelt der Sechsjährige, der sich selbst Messi nennt, auf Arabisch vor sich hin.
Parvana ist vor zehn Monaten mit ihrer Mutter Laleh und ihrem drei Monate altem Bruder aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Dem Asylantrag der Familie Nazemi wurde von den deutschen Behörden entsprochen. Seitdem lebt Parvana mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter in einer von 56 Wohnungen der Bahrenfelder Wohnunterkunft „f & w“ fördern und wohnen für anerkannte Flüchtlinge.

„Wir sagen nicht gerne Flüchtlingslager. Als wären diese Menschen nur Gegenstände, die wie Päckchen gelagert werden. Der Begriff erinnert mich an ein Konzentrationslager“, erklärt Jörn B. (48). Er und Michael M. (55) sind beide Journalisten und organisieren einmal wöchentlich zwei Stunden Tischtennisspielen für Flüchtlingskinder beim Tus Ottensen 93.

Sieben Jungs und Mädchen spielen in der riesigen Sporthalle der Max-Brauer-Schule: Parvana (8) und Ranim (6), dann die Jungen Messi und Idrissou, beide im selben Alter. Außerdem noch der 18-jährige Akil, der 13 Jahre alte Mohammed und Parvanas Mutter Laleh, die ihr kleines Baby mit dabei hat. Die Flüchtlinge stehen etwas unsicher auf den gelben Linoleumboden, starren auf eine dicke, dun-kelblaue Bodenmatte und auf von der Decke herab hängende Seile zum Klettern. Parvana probiert, einen Basketballkorb durch hüpfen zu erreichen und ruft: „Heute können wir werfen?! Das Basketball!“
Die Stimmung ist etwas angespannt, keiner hatte jemals einen Schläger in der Hand. Aber sie sind alle aus dem gleichen Grund hier: Sie wollen Tischtennis spielen. Die Sprachen, die Kulturen und auch die Geschlechter stellen eine Hürde da. Als Moham-med als erster damit beginnt, seinen Namen auf einen Klebestreifen zu schreiben, um sich ihn auf das T-Shirt zu kleben, wird er von Parvana beobachtet. Sie möchte nach dem Stift greifen, aber Ranim schüttelt den Kopf, als wollte sie sagen: Man nimmt einem Jungen nicht etwas weg, sondern muss warten, bis er fertig ist. Dabei murmelt sie etwas Unverständliches, und Parvana schaut sie fragend an: „Was du willst?“ Ranim winkt ab.

Pink - ein Mädchen mit einem auffälligen Trainingsanzug, wie der von Cindy aus Marzahn, rennt auf mich zu. Parvana hat dichte dunkle Augenbrauen, schwarzes Haar, und sie trägt einen lilafarbenen Haarreifen. Das kleine dünne Mädchen trägt alte abgenutzte Turnschuhe. Ein kleines Muttermal ziert ihren rechten Wangenknochen. Schon letztes Mal war sie beim Tisch-tennisspielen dabei und kennt die Trainer. „Hallo! Passt Hose! Ja, sieh, das Sporthose!“, ruft sie energisch und zieht am samtigem Stoff ihrer etwas zu großen Jogginghose. Ihr Deutsch ist besser als das der älteren Kinder, nur fügt sie jedem Wort ein langgezogenes „H“ hinzu. Dauernd zuppelt sie an ihrem geflochtenen Zopf herum, fragt sehr viel und ist auffällig aufgedreht: „Was spielen heute?“, „Wer gegen wer?“ Sie gestikuliert einen Aufschlag beim Tennis.

Der fast erwachsene Akil ist am enthusiastischsten, Ronney, der Kurde aus Syrien, hat Talent beim Spielen. Er ist ruhiger und kann sich konzentrieren. Wie alle Kinder der kleinen Gemeinschaft hat auch er keine Sportsachen, sondern ist gekleidet wie junge Leute: schlichte kurze Jeanshose und verblichenes, abgenutztes T-Shirt.
Parvana und Ranim äffen Mohammed immer wieder nach, indem sie brüllend, breitbeinig, mit hochgezogenen Schultern und geballten Fäusten herumlaufen. Parvana erklärt, warum sie sich über ihn lustig machen: „Immer muss er sein so Angeber. Dann sein dumm und nervig sehr!“ Für Ranim läuft das Fass über. Die ganze Zeit lacht er sie aus, haut sie und übertrumpft sie bei allem, was sie machen. Beim Fahrradfahren überholt er sie, beim Spielen wirft er den Ball immer auf ihr Feld und brüllt sie an. Ranim beginnt laut zu schreien.
Dann klettert sie beleidigt hinter eine Turnmatte, gemeinsam mit Messi und dem schweigsamen Idrissou, der Rehaugen hat und dessen Gesicht mit reichlich Sonnenflecken geschmückt ist. Idrissou spricht so gut wie gar nicht, er steht mit dem Schläger in der Hand da, in seiner braunen Dreiviertelhose und dem grünen Kurzarm-Shirt. Und er beobachtet. Ähnlich wie Laleh versteht er viel Deutsch, aber er ist zurückhaltend. „Araber“, sagt sie empört, als der Syrer Mohammed nach einem schlechten Schlag laut aufschreit, „immer sein laut. Aua!“ Sie hält sich die Ohren zu. „Nix gut. Brüllen, aber verstehen nix! Und immer machen“. Laleh macht so, als würde sie auf den Boden spucken. Sie ist von kleiner Statur, etwa 35 Jahre alt und ihre Tochter übersetzt für sie. Sie ist Muslima, trägt ein schlichtes, schwarzes Kopftuch und eine rote Langarmbluse. Als einzige aus der Gruppe weiß sie, wie man Tischtennis spielt, kennt die Regeln und ist vor allem eines: geduldig!
Beim „Runde-"spielen fliegt der Ball immer wieder weg, sie geht bedächtig durch die Halle, um ihn zu holen. Immer wenn Parvana zu ihr kommt, um auf Afghanisch und mit dem Finger zeigend über ein anderes Kind zu meckern, hört sie aufmerksam zu. Wenn ihr kleiner Munir sich anspannt, ins Hohlkreuz drückt und die winzigen Hände ballt, bringt sie ihn zum Schlafen. Ist er gestresst oder überreizt, schiebt sie ihn eine Runde im Kinderwagen. „Mama musste passen auf, auf Baby und mich. Sehr schwer, aber alles gut!“, erklärt Parvana die Flucht mit Mutter Laleh.
Einer der Tischtennistrainer nimmt Laleh den Kleinen kurz ab. Sie nickt dankend und nutzt die Zeit zum Spielen. Munir beobachtet seine Mutter und schaut sich mit seinen großen dunklen Augen um.
„So, jetzt spielen wir Runde. Kennt jemand das Spiel schon?“ Bei „Runde“ zählt nur der sportliche Wettkampf. Parvana antwortet Tischtennis-Lehrer Michael mit einem Jubelschrei. Nach einem ziemlichen Gewusel steht jeder am richtigen Platz. Messi hat Aufschlag. Ranim beißt sich beim Schlagen konzentriert auf die Unterlippe, Laleh schafft es nicht, Akils Schlag zu kontern und scheidet aus. Als auch Parvana einen Fehler macht, wird es spannend. Mit hoher Stimme sagt sie: „Ach, bitte, biiitte! Ich kann Spiel doch nicht“. Mit großen Augen versucht sie, sich wieder ins Spiel zu mogeln. Mohammed lacht sie aus. Für einen Moment vergisst er, angeben zu müssen und albert mit der kleinen Afghanin herum.
„Hab ich gewonnen!“, brüllt Mohammed zu Messi. Einige kleine Schweißtropfen rollen seine Stirn hinunter. Schwer atmend donnern seine Schritte auf dem Hallenboden, während er auf die andere Seite der Platte sprintet. Doch der Ball trifft den Schlägerrand, und er scheidet aus. Finale zwischen Mohammed und Idrissou.
„Die Kinder lieben diesen Rundlauf. Das weckt die Geister und alles andere ist vergessen – zumindest für diesen Moment,“ erzählt Michael. „Wir gewöhnen sie erst einmal langsam ans Spiel. Zuerst müssen sie mit dem Schläger umgehen können und etwas Vertrauen zum Ball haben.“ Seit einigen Jahren spielt er Tischtennis beim TuS Ottensen. Zusammen mit Jörn wollen sie den Kindern und ihren Familien etwas Sport und Spaß bieten.
In einer Pause merkt Ranim, dass sie ihr Getränk vergessen hat. „Du Dumme,“ schimpft Mohammed, dann gibt er ihr seine Wasserflasche. Sie grinst ihn an.

Am heiligen Berg der Shoshoni in der Wüste von Nevada. Der Beitrag dazu ist HIER zu finden.
Geschichten zur Arbeit und dazu passende Bilder:

Ich (mit rotem Helm) am Eingang zum heiligen Berg der Shoshoni in der Wüste von Nevada. Dort war einst das weltweit erste Lager für hochradioaktiven Atommüll geplant und wurde zum Glück durch US-Präsident Obama verhindert. Das Hörfunk-Mikrophon in der Rechten, das Aufnahmegerät (damals noch analog und schwergewichtig) locker über die Schulter gehängt war ich unterwegs im Yucca Mountain für eine Reportage.

Mohamed Nasheed, der wunderbare Ozeanograph, Menschenrechtler, Umweltaktivist und Ex-Präsident der Malediven. Beitrag dazu HIER.

Als Autor und Journalist für den Hörfunk zu arbeiten, ist noch immer der wunderbarste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Arbeit ist das selten gewesen. Anstrengung: ja, klar! Und Glück, mir zuvor unbekannte Menschen begegnen zu dürfen wie z.B. Mohamed Nasheed, der wunderbare Ozeanograph, Menschenrechtler, Umweltaktivist und Ex-Präsident der Malediven.

Und Orte zu sehen, wie Ny Alesund auf Spitzbergen oder Landschaften, wie Lake Ballard in West Australia – Auch nach fast 30 Jahren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland, Österreich und der Schweiz (davor Studium in Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Niederlandistik).

Ny Alesund auf Spitzbergen. Beiträge dazu HIER und HIER.
Lake Ballard, West Australia. Beitrag dazu HIER

Herzklopfen habe ich noch immer bei der nächsten Frage; die innere Unruhe, ob das Interview gelingt oder es bei einer Plauderei an der Oberfläche bleibt (der Künstler Gottfried Helnwein in Wien); die Unverschämtheit, fremde Menschen auszufragen (z.B. Christo Javacheff in seinem New Yorker Studio); die Neugier auf die „Anderen“; der Wunsch, diesen gerecht zu werden.

Künstler Gottfried Helnwein. Beitrag dazu HIER.
Christo Javacheff in seinem New Yorker Studio. Den passenden Beitrag gibt es HIER.
Stimmen werden im Studio zu Portraits (wie über die einsamste Familie der Welt, Familie Yanez auf Kap Hoorn) – nach dem Aufzeichnen, Abhören, Kürzen, Übersetzen, Montieren. Wo Sekunden sich in Stunden verwandeln, am Computer, am Schneidetisch, im Sender. Das Gefühl der Niederlage, wenn es nicht gelingt – wie peinlich, in der Öffentlichkeit mit dem Mikrophon herumzulaufen; welches Privileg, überall hinfahren und eigene Ideen umsetzen zu können!

Familie Yanez auf Kap Hoorn. In diesem Beitrag HIER könnt ihr reinhören.

Nur, die Honorare: zum Heulen; aber immer wieder wunderbare Redakteure, die tatsächlich etwas „bringen“, von dem sie nur Ahnungen haben – ob Elbe (wo ich lebe) oder Osterinsel (die ich wegen der ungewöhnlichen Menschen liebe) oder Neuseeland. Ist die Sendung fertig, wird die Ausstrahlung fast nebensächlich. Eines beruhigt mich noch immer: eine gut gestaltete Reportage, ein mitreißendes Feature – die Lust, damit etwas zu verändern.

Wo würdest du dein Traumhaus bauen?


In Neuseeland oder in Wales (Gower, um die Ecke von Dylan Thomas).

Was würdest du ändern, wenn du Bürgermeister wärst?


Nicht legale Bebauungen in Ottensen stoppen, Mieterhöhungen verhindern, HSV für Polizeieinsätze zahlen lassen.

Keine Frage, doch ein wenig Platz für etwas, was du loswerden möchtest:


Sich nicht von Ängsten übermannen lassen, denn Dinge aus Angst zu tun, bringt nichts Gutes hervor …

Lieblingssong des Moments?


Foals "My number", ein wunderbarer Song gilt als Math-Indie (noch nie gehört? Ich auch nicht).

Lieblingssong forever?


Papa was a rollin’ stone, The Temptations
- Quadrophenia, Who
- Sleep, Eric Whitarcre
- Spirit of Eden, Talk Talk (ultimativ)
- Gymnopedie, Eric Satie
- Fantasia on a theme of Thomas Tallis, Ralph Vaughan Williams
- Darkest Dreaming, David Sylvian
- Piano Phase, Steve Reich
- Whisper me, Wim Mertens
- The Fish, Yes
- Lampedusa, Sidiki Diabaté
- Pasha’ love, John McLaughlin-Trilok Gurtu, Kai Eckhardt
- Serenade, Benjamin Britten

Drei Plätze, die man sich in Hamburg unbedingt angeschaut haben sollte:


Alter Elbtunnel,
Hetlinger Schanze,
Flüchtlingsunterkunft Schnackenburgallee

Augenblickliches Lebensmotto:


Fallen oder Springen!

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